Brexit: Neue Gefahren für Gesellschafter

Nach aktuell geltendem EU-Recht können Gesellschaften, die im Vereinigten Königreich gegründet wurden, ohne Weiteres ihren Sitz faktisch nach Deutschland verlegen und die Gesellschaft von Deutschland aus leiten.

Dies haben Gründer in Deutschland mannigfach praktiziert, wie dies die große Popularität der englischen Limited Company (Ltd.) in Deutschland vor allem im letzten Jahrzehnt eindrucksvoll unterstreicht. Zuletzt wurden aber auch vermehrt Limited Liability Partnerships (LLP) nach englischem Recht von Vertretern freier Berufe als Alternative zur deutschen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder zur Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) gewählt, vor allem von großen Rechtsanwaltskanzleien und Beratungsgesellschaften.

Auf der anderen Seite können aber auch in Deutschland gegründete Gesellschaften ihren Sitz nach England verlegen. In der Praxis betrifft dies vor allem in Deutschland gegründete Europäischen Gesellschaften (SE). Aktuelles Beispiel hierfür ist etwa die geplante Fusion der Deutschen Börse mit der London Stock Exchange. Nach den bisherigen Plänen soll das kombinierte Unternehmen seinen Sitz in London haben (vgl. etwa Handelsblatt vom 29.06.2016).

Sofern das Vereinigte Königreich und die Europäische Union im Rahmen der Austrittsverhandlungen keine (Nachfolge-)Regelung zum Gesellschaftsrecht treffen, die den Status quo erhalten, stehen die Gesellschafter bzw. Partner solcher Gesellschaften vor schwierigen Fragen. Unternehmen sie nichts, kann dies zur unbegrenzten persönlichen Haftung der Gesellschafter führen!

Gesellschaftsrechtliche Grundlagen

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gilt in Deutschland im Grundsatz die Sitztheorie (vgl. etwa BGH, Urt. v. 27.10.2008 - II ZR 158/06, „Trabrennbahn“). Für die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft ist also das Recht des Sitzstaates maßgeblich. Dabei kommt es nicht auf den satzungsmäßigen Sitz an, sondern auf den tatsächlichen Verwaltungssitz. Es wird also gefragt, von wo aus die Gesellschaft geleitet wird und ob die dort maßgeblichen Regeln für die Gründung / Rechtsfähigkeit der Gesellschaft eingehalten worden sind.

Im Fall Trabrennbahn wurde eine Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht verklagt, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hatte. Die Rechtsfähigkeit der in der Schweiz gegründeten Aktiengesellschaft musste daher nach deutschem Recht beurteilt werden. Demnach ist eine in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft aber nur dann in Deutschland als AG rechtsfähig, wenn sie im deutschen Handelsregister eingetragen ist. Dies war im konkreten Fall nicht erfolgt.

Unbeschränkte Haftung

Eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Verwaltungssitz in Deutschland ist nach der Rechtsprechung des BGH dann zwar nicht als Aktiengesellschaft rechtsfähig. Vielmehr ist sie als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts zu behandeln, nämlich als offene Handelsgesellschaft oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die zur Erlangung der Rechtsfähigkeit keiner Eintragung in ein deutsches Register bedürfen. Konsequenz: Die Gesellschafter haften persönlich und unbeschränkt für Gesellschaftsverbindlichkeiten!

Europäisches Recht

Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgend (vgl. etwa "Centros", "Überseering" und "Inspire Art") hat sich der BGH hingegen für diejenigen Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR oder in einem mit diesen aufgrund eines Staatsvertrages in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden sind, der sog. Gründungstheorie angeschlossen. Danach ist die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats zu beurteilen. Sofern die Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat wirksam gegründet wurde und dort besteht, wird sie auch in Deutschland als rechtsfähig anerkannt.

Konsequenz des Brexit

Sofern sich das Vereinigte Königreich und die Europäische Union im Rahmen der nun anstehenden Austrittsverhandlungen nicht auf eine (Nachfolge-)Regelung für den Bereich des Gesellschaftsrechts einigen (etwa über den Beitritt des Vereinigten Königreichs zum EWR oder durch Abschluss eines bilateralen Abkommens, das die Freizügigkeit für Unternehmen wieder herstellt), finden die Europäischen Verträge auf das Vereinigte Königreich ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der Mitteilung des Vereinigten Königreichs über die Austrittsabsicht keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich einstimmig, diese Frist zu verlängern (vgl. Art 50 Abs. 3 EUV).

Mit dem Ende der Geltung EU-Rechts im Vereinigten Königreich entfällt zugleich auch die Basis für die Anwendung der Gründungstheorie auf Gesellschaften englischen Rechts in Deutschland sowie die Basis für das Bestehen einer SE nach europäischem Recht mit Sitz in England. Die Austrittsabsicht hat Premier Cameron beim gestrigen Gipfel in Brüssel noch nicht mitgeteilt. Es ist wahrscheinlich, dass man dem Vereinigten Königreich noch bis September 2016 Zeit geben wird, sich zu sortieren. Andererseits drängen zahlreiche Politiker auf einen schnellen Start der Austrittsverhandlungen, um die die Finanzmärkte und die Wirtschaft lähmende Hängepartie bald zu beenden. Daher haben die Gesellschafter der betroffenen Gesellschaften nun noch etwa zwei Jahre, um eine persönliche und unbeschränkte Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten zu vermeiden.

Alternativen

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit die betroffene Gesellschaft englischen Rechts in eine deutsche Gesellschaft (oder eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats) zu überführen, also bei der Limited Company etwa in eine GmbH oder Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). § 122 a UmwG eröffnet den Weg einer grenzüberschreitenden Verschmelzung. Dieser Weg ist vielfach erprobt. Die Vorbereitung und Durchführung nimmt aber geraume Zeit in Anspruch, daher sollte rechtzeitig mit der Vorbereitung begonnen werden. Insbesondere sollten die Beteiligten dabei neben gesellschaftsrechtlichen Themen auch mitbestimmungsrechtliche Themen berücksichtigen.

Optional besteht aber auch die Möglichkeit eine vergleichbare Rechtsform in den USA ausfindig zu machen, die der englischen Rechtsform näher kommt. Nach Artikel XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 sind auch Gesellschaften, die in den USA gegründet worden sind, in Deutschland als rechtsfähiges Gebilde anzuerkennen (vgl. BGH, Urt. v. 29.01.2003 – VIII ZR 155/02). Dieser Weg über eine US-Gesellschaft wird voraussichtlich jedoch noch mehr Zeit in Anspruch nehmen als eine grenzüberschreitende Verschmelzung.

Zwar kann man derzeit noch nicht abschätzen, welchen Weg die Austrittsverhandlungen nehmen werden. Es ist durchaus möglich, dass die Freizügigkeit für Gesellschaften erhalten wird. Um jedoch eine persönliche Haftung zu vermeiden, empfehle ich den betroffenen Gesellschaftern, in den nächsten Monaten ihre Optionen sorgfältig zu prüfen und die notwendigen Schritte vorzubereiten.

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