Kommission verhängt knapp 3 Mrd. EUR Geldbuße gegen LKW-Hersteller – hohe Schadensersatzforderungen dürften folgen

Die Europäische Kommission hat am 19. Juli 2016 ein Rekordbußgeld von insgesamt 2,93 Mrd. EUR wegen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen gegen die LKW-Hersteller MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF verhängt. Das gegen Scania geführte Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Was wirft die Kommission den Unternehmen vor?

Nach Ansicht der Kommission betrifft das Kartell insbesondere die Märkte für die Herstellung mittelschwerer (Nutzlast zwischen 6 und 16 t) und schwerer Lastkraftwagen (Nutzlast über 16 t), erstreckte sich auf den gesamten EWR und wurde von 1997 bis zur Durchsuchung durch die Kommission im Januar 2011, also für nahezu 14 Jahre praktiziert. Über den gesamten Zeitraum hinweg sollen die genannten Hersteller die Bruttolistenpreise für diese Lastkraftwagen im gesamten EWR koordiniert, sich über den Zeitplan für die Einführung von Emissionssenkungstechnologien für diese Lastkraftwagen (von EURO 3 bis zur derzeit gültigen EURO 6-Emissionsklasse) abgesprochen und einvernehmlich die Kosten für die Emissionssenkungstechnologien an die Kunden weitergegeben haben. Nähere Informationen können der Pressemitteilung der Europäischen Kommission entnommen werden.

Verfahren der Kommission

Ausgelöst wurde das Verfahren der Kommission durch einen Kronzeugenantrag von MAN. Gemäß der Kronzeugenmitteilung der Kommission wurde MAN die drohende Geldbuße von ca. 1,2 Mrd. EUR erlassen, weil das Unternehmen die Kommission von dem Kartell in Kenntnis gesetzt hatte, bevor diese auf andere Weise hiervon erfuhr. Aufgrund ihrer Kooperation im Rahmen der Kronzeugenmitteilung wurden auch die Bußgelder gegenüber Volvo/Renault, Daimler und Iveco reduziert. Zudem erhielten diese Unternehmen für die Einräumung der Vorwürfe im sog. Settlement-Verfahren eine weitere Ermäßigung ihrer Geldbuße um 10 %. Lediglich Scania hat bisher nicht mit der Kommission kooperiert und verteidigt sich weiterhin gegen die Vorwürfe. Das Verfahren ist deshalb insoweit noch nicht abgeschlossen.

Mögliche Schadensersatzforderungen unmittelbarer und mittelbarer Abnehmer

Nach europäischem und deutschem Kartellrecht (§ 33 Abs. 3 GWB) steht jedem, der durch ein Kartell geschädigt worden ist, Anspruch auf Schadensersatz zu. Geschädigt sein können sowohl unmittelbare Abnehmer der LKW, also Händler oder Direktabnehmer der Hersteller, als auch mittelbare Abnehmer, d. h. Speditions-, Transport- und andere Unternehmen, die von der Kartellabsprache betroffene LKW von einem Händler erworben haben. Die Kartellmitglieder haften grundsätzlich als Gesamtschuldner, d. h. für den gesamten entstandenen Schaden; lediglich für den Kronzeugen, demgegenüber die Geldbuße gänzlich erlassen wurde, gibt es insoweit gewisse Einschränkungen.

Ermittlung und Geltendmachung des Schadens

Potentiell durch das LKW-Kartell Geschädigte können sich für den Nachweis des Kartellverstoßes auf die Kommissionsentscheidung berufen, da ein Zivilgericht an die Feststellungen der Wettbewerbsbehörde gebunden ist (§ 33 Abs. 4 GWB). Von den Geschädigten jeweils zu ermitteln und nachzuweisen ist hingegen der individuelle Schaden. Dieser bemisst sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis und dem Preis, den der betreffende Abnehmer ohne die Kartellabsprache gezahlt hätte (sog. hypothetischer Wettbewerbspreis). Die Ermittlung des Schadens dürfte u. a. aus folgenden Gründen nicht ganz einfach sein:

  • Soweit Endkunden betroffene LKWs direkt von einem der Hersteller bezogen haben, dürften regelmäßig individuelle, unterschiedliche Rabatte auf den abgesprochenen Bruttolistenpreis gewährt worden sein. Wurde die LKW geleast, ist zu ermitteln, welcher Kaufpreis der vereinbarten Leasingrate zugrunde lag. Entscheidende Hürde ist die Beschaffung der Vergleichsdaten zur Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises.
  • Haben die Endkunden LKW über Händler bezogen, müssen die mittelbar Geschädigten zusätzlich nachweisen, dass und in welchem Umfang der betreffende Händler einen erhöhten Kartellpreis an sie weitergewälzt hat („passing-on“). Denn ein etwaig höherer Endkundenpreis kann durchaus auch auf besonderes Verhandlungsgeschick des Händlers u.a. zurückzuführen sein.

Es ist deshalb empfehlenswert, sich für die Schadensermittlung nicht nur der Hilfe eines spezialisierten Anwalts sondern auch der eines ökonomischen Sachverständigen zu versichern. Im Hinblick auf die Kosten empfiehlt es sich v.a. für kleinere Abnehmer, die Prüfung und ggf. auch Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen mit anderen (kleineren) Abnehmern zu koordinieren.

Was sollten geschädigte Unternehmen als nächstes tun?

Entscheidend für die – außergerichtliche wie gerichtliche – Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches ist die Beschaffung der für die Ermittlung des Schadens relevanten Daten bzw. Informationen. Offizielle Grundlage ist bis auf weiteres nur die veröffentliche Pressemitteilung der Europäischen Kommission. Im Rahmen der Akteneinsicht bei der Kommission können ggf. vorab nicht vertrauliche Teile der Bußgeldentscheidung erlangt werden, bevor – voraussichtlich erst in einigen Monaten – die vollständige, um Geschäftsgeheimnisse bereinigte Bußgeldentscheidung der Kommission verfügbar ist. Die Möglichkeiten, von den kartellbeteiligten Herstellern Preis- und Marktinformationen zu erhalten, sind nach derzeitiger Gesetzeslage begrenzt. Eine wesentliche Verbesserung dürfte sich erst durch die 9. GWB-Novelle ergeben, die spätestens zum Ende diesen Jahres in Kraft tritt.

Zunächst sollte deshalb jedes Unternehmen seine mögliche Betroffenheit prüfen und die internen Daten aufbereiten, also welche LKW zu welchem Preis im Kartellzeitraum von welchen LKW-Hersteller bezogen wurden. Im zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob und auf welche Weise etwaige Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollen.

Bei all dem ist die drohende Verjährung etwaiger Ansprüche im Auge zu behalten, soweit diese aufgrund des langen Kartellzeitraums nicht bereits vor Eröffnung des Verfahrens der Kommission verjährt waren. Soweit dies nicht der Fall ist, wird gem. § 33 Abs. 5 GWB die Verjährung bis sechs Monate nach rechtskräftiger Beendigung des Kommissionsverfahrens gehemmt. Durch die Aufnahme von Verhandlungen über etwaige Ansprüche kann die Dauer der Hemmung verlängert werden. Zudem kann durch entsprechende Abreden zwischen Geschädigten und Kartellanten sichergestellt werden, dass sich letztere für einen bestimmten Zeitraum nicht auf Verjährung berufen können.

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